Montag, 12. Oktober 2009

Protestbrief WITNESS BERLIN e.V.

KOMMENTAR ZU DEN SCHLIESSUNGEN UND ABGABEN VON JUGENDEINRICHTUNGEN IN BERLIN

Berlin beißt in die Hand, die es ernährt. In diesem Falle in Form von Schließungen von Kinder- und Jugendeinrichtungen oder der Abgabe der selbigen an freie Träger. Es ist als extremer Widerspruch zu betrachten, dass in Zeiten einer regen öffentlichen Debatte über die Zunahme jugendlicher Gewalt und Kriminalität in den Medien, die präventiv arbeitenden Kräfte rücksichtslos beschnitten werden. Ebenfalls zeugt es von beispielsloser Kurzsichtigkeit der Verantwortlichen, da es keines Wahrsagers bedarf, um vorherzusehen, dass Kosten, die heute in der Kinder- und Jugendarbeit eingespart werden, schon morgen in verstärktem Maße auf die Justiz zurückfallen werden. Zentrum der Debatte sind dabei keine provinziellen Einrichtungen der Jugendarbeit mit begrenzter Teilnehmerzahl sondern Orte des sozialen Miteinanders in den oft als „Brennpunktgebiete“ gebrandmarkten Bezirken der Berliner Innenstadt. Völlig inakzeptabel werden solche Sparmaßnahmen durch parallele Entwicklungen, in welchen enorme Summen Geld durch den Senat für Stadtsanierung und Ausbau zur Verfügung gestellt werden wie beispielsweise das Stadtschloss. Die so oft hochgepriesene Formel „Kinder sind unsere Zukunft“ entpuppt sich dabei als leere Hülle, die medienwirksam eingesetzt aber selten in Form von finanzieller Unterstützung und aktivem Engagement in die Tat umgesetzt wird. Milliarden wurden von staatlicher Seite bereit gestellt, um während der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise den Banken ein notwendiges Rettungsnetz zu spannen. Richtigerweise, da so Arbeitsplätze in Deutschland erhalten werden können und konnten. Jedoch grenzt es an Perversion, zu nahezu gleicher Zeit, einen Frontalangriff auf unsere zukünftige gesellschaftliche Stabilität und Qualifizierung durchzuführen. Um das schlecht koordinierte und strukturierte Bildungswesen der Bundesrepublik zu ergänzen, sind erzieherisch begleitende Maßnahmen von essentieller Wichtigkeit als Mittel der Integration, Prävention und Verständigung. Die in den Einrichtungen durchgeführten Projekte ebnen tagtäglich den Weg für Kommunikation, Förderung von Potentialen und Einbindung der Teilnehmer in gesellschaftliche Strukturen. Möglichst viele Standorte zu erhalten muss sicher das mindeste und vorrangige Ziel sein, allerdings kann die Abgabe von Einrichtungen an freie Träger niemals eine Alternative darstellen. Es ist die Verantwortung und die Pflicht der Städte und Kommunen die außerschulische Bildung sowie die Partizipationsmöglichkeiten der Jugendlichen an unserer Gesellschaft selbst anzubieten und zu erhalten. Diese kann und darf nicht ausgelagert werden. Darüber hinaus sind langjährig gewachsene und gereifte Beziehungen zwischen Betreuern und Jugendlichen die Grundessenz für eine funktionierende Jugendarbeit. Befristete Verträge mit möglicherweise sogar regelmäßig wechselndem Personal können diesen Nährboden für kontinuierlichen Dialog und Austausch nicht gewährleisten. Hinzu kommen ebenfalls die Kürzungen, von denen auch freie Träger in naher Zukunft stark betroffen sein werden, mit welchen sich die einheitliche Betreuung der Kinder und Jugendlichen zu einer Unmöglichkeit verwandelt. Folgen können im schlimmsten Fall kostenpflichtige Programme und Projekte sein, die die Jugendarbeit endgültig zu einem klassengetrennten Bereich degradieren. Entgegen dem aktuellen Trend ist eine breite Menge der Meinung, dass, im Gegenteil, mehr Einrichtungen der Jugendarbeit vonnöten sind, um eine wachsende Anzahl perspektiv- und orientierungsloser Berliner Jugendlichen entsprechend ihrer Bedarfe zu beraten, begleiten und zu motivieren. Die nun betroffenen Standorte sind tief in ihrem jeweiligen Kiez integriert und erreichen somit die Zielgruppe bereits in jungen Jahren, mittels öffentlichen Veranstaltungen, Projekten, Kiezfesten etc. Eine Schließung oder Verlagerung der Zentren würde nachträglich eine jahrelange Arbeit zunichtemachen und die entstandenen konstruktiven Beziehungen dauerhaft beschädigen. Wir haben in der Jugendkulturförderung und Sozialarbeit regelmäßig das Vergnügen gehabt, mit einigen der genannten Einrichtungen zusammen zu arbeiten und konnten uns auf diese Weise von der enormen Vielfalt, Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Angebote überzeugen. Daher wehren wir uns vehement gegen die momentan stattfindende Entwicklung und appellieren an die Verantwortlichen, ihren Versprechen von einem sozialen Miteinander Folge zu leisten. Ein gerechter Sozialstaat kann ohne die Förderung unserer Jugend nicht existieren, wie zahlreiche Beispiele im Ausland beweisen. Haushaltssanierung ist eine Notwendigkeit der Gegenwart, an der jedoch der Nachwuchs keine Schuld trägt. Er sollte vielmehr die letzte Instanz sein, auf die die Konsequenzen eines kurzsichtigen Wirtschaftens abgewälzt werden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Kinder und Jugendliche als solche wahrgenommen und gefördert werden und nicht erst als Straftäter im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen.

Joe Bliese
Vorsitzender des Vereins zur Förderung von Jugendkultur „Witness Berlin e.V.“

www.witness-berlin.de



1 Kommentar:

  1. Wo soll das alles nur hinführen.....Deutschland armes Deutschland!

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